"Was für ein zauberschönes Lichtspektakel – und was für eine Überraschung: Am Samstagabend erstrahlte nicht nur der Wasserturm so farbenfroh, auch Live-Musik verzückte aus luftiger Höhe ganz Rüthen.
Kurz nach halb acht ist es, als Patrick Risse und sein Team in den letzten Zügen der Vorbereitung sind. Noch ist es eigentlich streng geheim, was gleich passiert, aber seit drei Stunden wird hier kräftig angepackt. Während die Eventmanufaktur jede Menge Strahler um den Turm verteilt, ist gut 30 Meter höher eine kurze Verschnaufpause angesagt: 15 Boxen und Kabel haben Karsten Krebsbach alias Käpt’n Käse und seine fleißigen Helferlein hier hochgeschleppt, damit Anja Jacob und Andreas Franke gleich ein kleines, aber feines Konzert spielen können. „In der Corona-Krise sieht man gefühlt jeden Tag Livestreams“, erklärt der DJ. Als er gesehen hat, dass eine befreundete Band von einer Drehleiter aus gespielt hat, wollte er sowas auch für die „Bergstadt mit Herz“. Also hat er „überlegt, gemacht und getan“ und gemeinsam mit Daniel Schrewe und Stephan Spanke kam ihm die Idee vom Wasserturm. DJ-Mucke fand er dafür „doof“; eine heimische Band sollte es sein.
Mit Anderersaits war die schnell gefunden, die sollten nicht nur beim Tanz unterm Maibaum auftreten, Gitarrist Andreas ist sogar Neu-Rüthener. Und: „Wir lieben es, an ungewöhnlichen Orten zu spielen“, erzählt Sängerin Anja. „Deswegen finde ich das hier richtig cool.“ Das hier ist nämlich der höchste Ort, an dem die beiden gespielt haben. Eigentlich sind sie nur die Hälfte der Band, aber in der Corona-Pandemie ist weniger eben mehr, Sicherheitsabstand immens wichtig – und so ein Schlagzeug die schmale Wendeltreppe hochschleppen zu müssen, sowieso ziemlich schwierig.
„Von Rüthenern für Rüthener“ ist die Aktion, sagt Käse, aber für das richtige Licht sorgt dann doch die Eventmanufaktur Risse und Rottke aus Belecke. Die hat im Warsteiner Stadtgebiet schon eine Handvoll Wahrzeichen angeleuchtet und war direkt dabei, als Krebsbach angefragt hat. „Aber nichts ohne Genehmigung“, sagt der Rüthener DJ lachend. Deshalb hat sich Bürgermeister Peter Weiken mit seinem Corona-Stab beraten und grünes Licht gegeben – solange der Käpt’n nicht dafür wirbt. Nur ein paar kryptische Andeutungen gab’s deshalb in den sozialen Netzwerken.
Zu viel Publikum
durfte nicht kommen
Ja, in Corona-Zeiten steht die Welt schon irgendwie Kopf: „Ich bin heute zum ersten Mal zu einem Auftritt gefahren und habe gedacht: Hoffentlich kommen nicht so viele Leute“, sagt Anja Jacob und lacht kurz. Wenn die Sause gleich nämlich zu viel Publikum anlockt, muss das Ordnungsamt eingreifen – Sicherheit geht schließlich vor. Mittlerweile ist es fünf vor acht.
In den Gärten rund um den Wasserturm ist es still, niemand sitzt bei den kühlen Temperaturen nach dem regnerischen Nachmittag auf der Terrasse, und auf dem Wasserturm werden letzte Kamera-, Licht- und Toneinstellungen überprüft. „Dideldum, dideldum, dideldum“, plappert Käptn Käse ins Mikrofon, dann schlägt die Glocke der Nikolauskircht acht Uhr. Auf geht’s: Er begrüßt das Publikum und die Terrassen- und Balkontüren rund herum gehen auf. „Na, Attacke“, ruft jemand, als Käse ankündigt, die Rüthener „mit Livemusik vom Wasserturm in den Samstagabend schicken“ zu wollen. Und schon beginnt Anderersaits mit dem ersten Lied. Vom „ungewissen Spiel“ singen sie und davon, sich keine Sorgen zu machen.
„Wenn ihr nicht zur Livemusik kommt, dann kommt die Livemusik eben zu euch“, ruft Frontfrau Anja vom Turm herunter und flüstert leise: „Ich fühle mich wie Rapunzel.“ Andreas spielt mal Gitarre und mal Ukulele, Anja begleitet ihren Gesang mit Maracas. „Wake me up“ von Avicii spielen sie, haben mit „Dance Monkey“ den Partyhit des letzten Jahres im Gepäck und mit „Zusammengehen“ eine Eigenkomposition, die auch ein bisschen zur Corona-Zeit passt: „Einen Freund wie dich lässt man nicht im Regen stehen“, heißt es da, und „Lass uns gehen, zusammengehen, bis ans Ende der Dunkelheit, wo die Sonne wieder scheint“.
Der Wind hier oben pustet der Sängerin feste durch die Haare, ganz schön frisch hier oben. Rund um den Wasserturm werden Omas warm eingepackt im Rollstuhl nach draußen geschoben, Kinder hopsen vergnügt über den Rasen und ein Pärchen tanzt verliebt mitten auf der Schneringer Straße. Andere sitzen gemütlich auf dem Balkon und lassen sich von der Musik berieseln, wieder andere gucken begeistert aus dem Fenster und ein paar sind extra zum Wasserturm gewandert und sitzen auf der Mauer. „Ihr seid schrecklich weit weg, aber es ist wunderbar, dass ihr hier seid“, ruft Anja Jacob. Vier Lieder spielt Anderersaits, dann ist ihr Konzert schon fast wieder vorbei – die „Zugabe“-Rufe und Jubelpfiffe sind aber so laut, da legen sie mit „Ironic“ und „Dein ist mein ganzes Herz“ noch zwei oben drauf. Hach, schön. „Das hörst du bis unten ins Möhnetal“, sagt Käpt’n Käse am Ende und zeigt auf sein Handy.
Jede Menge Nachrichten von begeisterten Rüthenern sind da inzwischen eingetrudelt, die das Geschehen vom eigenen Zuhause aus verfolgt haben – vom Breitenbuscher Weg bis zur Johanneskirche, vom Bibertal bis zur Niederen Straße. „Ich bin einfach stolz, dass es geklappt hat“, sagt er. Und unten, da sagt eine Rüthenerin: „Das ruft nach Wiederholung. Es hätte auch ein bisschen länger gehen können.“ Das Konzert mit Anderersaits ist um kurz nach halb neun nämlich zu Ende, zwei, drei Lieder zur Corona-Pandemie lässt Käpt’n Käse noch vom DJ-Pult laufen und dann leuchtet nur noch der Wasserturm. Nur noch? Nein, zauberhaft ist das Lichtspektakel. Je dunkler es um die Bergstadt wird, desto schöner und kräftiger sind die Farben, die Rüthens größten Wahrzeichen anstrahlen und verzücken die Rüthener. Eine richtige Augenweide."